Allerheiligen, in Dankbarkeit trauern!
Allerheiligen, in Dankbarkeit trauern!
Allerheiligen! Ein Tag im Jahr wird offiziell der Trauer gewidmet und den Menschen, die nicht mehr unter uns weilen.
Wie gestaltest du diesen Tag?
Ich möchte dir heute einen Einblick gewähren in meine Begegnungen mit Trauer.
Soweit ich mich zurückerinnern kann, war Allerheiligen für mich ein freudvolles Familienfest. Meine Tanten kamen gemeinsam mit meinen Cousinen und Cousins zu uns, um ihrem Vater, unserem Opa, den ich nie kennengelernt hatte, zu Gedenken. Nach einer kurzweiligen Hl. Messe, einer Überdosierung Weihrauch und einem Gräberbesuch am klirrend kalten Ortsfriedhof folgte ein leckeres Familienessen. Groß und Klein waren gut gelaunt, es wurden Geschichten erzählt, Spiele gespielt, sogar musiziert und gelacht und Verbundenheit, Freude und Dankbarkeit erfüllten die Stube.
Erst heute kann ich nachvollziehen, warum meine Oma stets in einen Mantel von Melancholie umhüllt war. Nichtsdestotrotz war sie das geduldigste, liebevollste und gütigste Wesen, dem ich mich je anvertraute.
Das Leben hat ihr viel abverlangt, sie hat ihre geliebte Mutter als kleines Mädchen verloren, drei ihrer Brüder sind im Krieg gefallen und ihr Ehemann starb ebenfalls viel zu früh.
Sie war gezwungen die Verantwortung für Gasthof, Landwirtschaft und fünf minderjährige Kinder alleine zu tragen und all’ das lastete schwer auf ihren Schultern. Ihre faltigen Hände ruhten bis zu ihrem Tode nie.
Als ich meine geliebte Oma als zwanzigjährige junge Erwachsene verloren habe, bin ich zum ersten Mal dieser schmerzhaften Trauer begegnet, die sich tief ins Herz hineinbohrt, so dass sie auch physisch spürbar ist. Parallel dazu spürte ich auch große Dankbarkeit für all’ das, was sie mir gegeben hat: Liebe, Rückhalt und Geborgenheit, Verständnis, Unterstützung und Sicherheit.
Das Wissen darüber, dass sie ihren wohlverdienten Frieden gefunden hatte, half uns allen dabei, ihren Tod anzunehmen und diesen Abschied als natürlichen Prozess des Lebens zu akzeptieren.
Wenn junge Menschen sterben
Ganz anders erging es mir als ich meinen Mann vor 16 Jahren, den Vater meiner Kinder, durch einen Unfall verloren habe.
Ich war so sehr überfordert mit der Situation, dass es mir den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Ich war nicht fähig zu verstehen oder zu akzeptieren. Da war nur Schmerz, herzzerreißender Schmerz. Hilflosigkeit, Trauer, Überforderung und auch Wut.
In den ersten Wochen und Monaten nach dem Tod habe ich die Tage gezählt, die ich ohne ihn überstanden hatte. Das Funktionieren für die Kinder hat mir täglich die Kraft gegeben aus dem Bett zu steigen, doch am liebsten hätte ich mich verkrochen und Tag und Nacht ins Kissen geheult.
Meiner Meinung nach erschwert uns der kulturelle Umgang mit Tod, ihn als Teil des Lebens anzuerkennen. Viele tabuisieren den Tod. Menschen leben, als würden sie nicht sterben. Machen sich keine Gedanken darüber was sie hinterlassen möchten und wie sie Dinge hinterlassen oder überlassen möchten.
Wenn es passiert, dass junge Menschen sterben, die laut unserer Vorstellung noch nicht den Lebenszyklus vollendet haben, dann können wir damit nur schwer umgehen.
Ein paar Wochen nach dem Unfall, als der Schock nachließ und ich realisieren anfing, dass der Tod für die Ewigkeit gilt und diese Ewigkeit nicht zu ertragen ist, machte ich mich auf zu meinem Hausarzt (Mann für alles auf dem Land).
Es fiel mir sehr schwer mich verletzlich und erschöpft zu zeigen.
Stimmen von außen wie: “Das Leben muss weitergehen, die Zeit heilt alle Wunden, …” waren aus heutiger Sicht gut gemeinte Tröstversuche, die allerdings Druck aufbauten und ich hörte darin unausgesprochene Erwartungen an mich.
Für mich fühlte es sich so an als würde ich es nicht schaffen, das Leben würde für mich nicht weitergehen und meine Wunden würden niemals heilen wollen.
Ich bat meinen Hausarzt um Erleichterung. Er möge mir doch bitte Psychopharmaka verschreiben, damit ich mit der Situation zurecht kommen könnte.
Seine Antwort werde ich nie vergessen und sein nüchterner Zuspruch war es, der mir half, meine innere Kraft zu mobilisieren und wieder an mich selbst und an so etwas wie Selbstheilungskräfte zu glauben.
“Nein, nein! Medikamente brauchst du keine und ich gebe dir auch keine! Der Mensch ist mit Selbstheilungskräften ausgestattet, die dabei helfen, solche Schicksalsschläge zu verarbeiten. Was hätten sie denn früher gemacht? Du schaffst das, gib dir Zeit zum Trauern!”
Mit gesenktem Haupt verließ ich die Praxis, weil die erhoffte Erleichterung durch eine Pille nicht so rasch eintreten würde. Und doch konnte ich mich innerlich aufrichten und das erste Mal Hoffnung spüren. Rückblickend frage ich mich, wie ich diese Zeit bloß überstanden habe?
Es war ein Funktionieren mit winzig kleinen Lichtblicken dazwischen. Und irgendwann hat es sich gewandelt. Die Tage wurden heller und unbeschwerter. Der Grauschleier hat sich gelichtet, die guten Phasen wurden länger und die schmerzhaften Momente erlebte ich weniger intensiv.
Woran erkannte ich, dass die Trauerphase begann auszuklingen?
Als ich im Schmerz das Gute und Schöne anerkennen konnte:
Dankbarkeit
für zwei wunderbare Kinder
die gemeinsame Zeit
die bunten Erlebnisse
die fröhlichen Abenteuer
die erreichten Ziele
Wertschätzung
für das Leben und
Staunen über die menschliche Kunst,
der Lebendigkeit im Schmerz zu begegnen
Unterstützung schenken in Trauerphasen
Während meiner Trauerphase konnte ich beobachten, dass viele Menschen in meinem Umfeld überhaupt nicht wussten, wie sie mit mir, den Kindern oder der Situation umgehen sollten.
Ich hätte damals gebraucht, dass Menschen auf mich zugehen, mir ehrlich und authentisch begegnen, ihre Ratlosigkeit gestehen und einfach nur da sind.
Deshalb möchte ich heute eine Ermutigung aussprechen und dir eine kleine Anleitung an die Hand geben: wann immer du mit trauernden Menschen in Kontakt kommst, sei da, sei du.
Wann fühlen sich Menschen traurig?
Wenn etwas Wichtiges und Wertvolles nicht mehr da ist oder im Moment nicht da ist.
Neben der Trauer um geliebte und geschätzte Mitmenschen können folgende Ereignisse Trauer auslösen:
- Verlust eines Haustieres
- Verlust des Arbeitsplatzes (Kündigung, Pensionierung)
- Verlust von Freundschaft, Kameradschaft, Gemeinschaft
- Verlust von Heimat, Wohnort, gewohnter Umgebung
- Unerfüllter Kinderwunsch
- Trennung, Scheidung
- Abschied von Lebensträumen, weil die Umsetzung nicht gelingt
- Ausziehen der Kinder (empty nest)
Ich möchte dich ermutigen, dir selbst zuzutrauen, für trauernde Menschen in deinem Umfeld eine Stütze zu sein. Wie geht das?
- auf Betroffene zugehen
- das was passiert ist, benennen
- Dasein lassen
- keine Angst vor (heftigen) Emotionen
- Zuhören (nicht trösten)
- Gesten sagen mehr als Worte
- Geduld haben (es dauert solange es dauert)
- mitfühlen, nicht mitleiden
- Unterstützung bei Alltagsaufgaben schenken
- Unternehmungen vorschlagen
- Zurückweisungen nicht persönlich nehmen
- wieder Unternehmungen vorschlagen
Ich wünsche dir Anfang November achtsame Tage der Wertschätzung für das Leben.
Mittlerweile verbringe ich diesen Feiertag wieder liebend gern mit meinen Kindern, Eltern, Geschwistern, Neffen und Nichten. Der Tag schenkt Begegnung mit entfernten Verwandten und Bekannten und ermöglicht Austausch. In überlieferten Geschichten lassen wir Erlebtes hochleben und Erinnerungen erfüllen uns mit Liebe und Dankbarkeit. Das schafft Verbindung.